Predigt vom 26. März 2023 (5. Sonntag der Passionszeit)
Schwer fühlt es sich an auf ihren Schultern. Als träge sie einen großen Stein. Morgens kommt sie kaum noch aus dem Bett. Dabei ist sie immer so gerne zur Arbeit gegangen. Schon als Kind hatte sie davon geträumt, später einmal in einem großen Kaufhaus zu arbeiten. In der Modeabteilung. Damenmode, das war immer ihr Traum gewesen. Ein Traum, den sie verwirklichte. Mit dem Bus fuhr sie immer von ihrem Ort zur Ausbildungsstätte in die nächstgrößere Stadt. Später dann mit dem eigenen Auto, gekauft von dem ersten selbstverdienten Geld. Im Kaufhaus gings dann immer mit der Rolltreppe in den ersten Stock. Dreißig Jahre lang. Oft von montags bis samstags. Samstags war immer am meisten los. Wenn die Leute Zeit hatten - Hosen, Hüte, Blusen, Röcke, Kleider anprobierten. Wie sie das liebte, wenn die Leute erzählten: Bald ist Konfirmation, da soll es ein schönes Kleid zu geben. Oder wenn erzählt wurde, dass bald ein runder Geburtstag anstehe und man sich dafür besonders schick machen wolle. Wie sie das liebte, wenn die Frühjahrskollektion eintraf. Man merkte dann immer, dass das auch was mit der Laune der Kunden machte.
Die letzten Jahre aber wurden es immer weniger. Schon vor Corona hörte man überall: Online Shopping. Das ging selbst sonntags, dazu von der Couch aus. Ihrem Kaufhaus machte das zu schaffen. Ihre Mitarbeitenden wurden immer weniger. Die Kundschaft sowieso. Lange hatte sie gehofft, dass es doch nochmal anders würde. Dass sich nach Corona was ändern würde, die Leute das Shoppen mit einem Kaffee und einem Kuchen verbinden würden. Oder mit dem jeweiligen Angebot der Woche, oben im Restaurant des Kaufhauses. Fehlanzeige. Nach Corona war schon bald vor Corona: Eingekauft wurde immer öfter nur für sich. Im Internet. Lieber wurden 10 Pakete zurückgeschickt als die Anproben im Kaufhaus genutzt. Seit dieser Woche war klar: Bald war Schluss. Insolvenz. Endgültig. Dichtmachen. Im Sommer würde sie ein letztes mal die Rolltreppe hochfahren, in ihre Abteilung. Zu den Kleidern und Röcken und der Mode, die bereitlag. Sie mochte gar nicht daran denken. Ihre Schultern waren so schwer. Als läge da etwas drauf. Momentan war sie froh, wenn sie es aus dem Bett schaffte.
Liebe Gemeinde,
eine von vielen Passionsgeschichten dieser Tage. Eine Geschichte, die von Veränderung erzählt. Für Menschen, für Einzelne, für unsere Gesellschaft.
Nicht nur eine Arbeit geht verloren, sondern ein Lebenstraum zerplatzt, weil die Gesellschaft eine andere geworden ist. Nicht nur die Verkäuferin und Modeberaterin im Kaufhaus weiß etwas davon zu erzählen.
Kinobesitzer könnten es genauso tun: Heute wollen viele ihr eigenes „Heimkino“ haben. Keine Popcorn mehr im Kinosaal essen, nicht den Vorhang sich aufziehen sehen, nicht mehr an Uhrzeiten gebunden sein, lieber zu Hause auf der Couch „streamen“, wie es neudeutsch heißt.
Vereine könnten davon erzählen, die kaum noch Vorstände zusammenbekommen, weil keiner ein Amt an der Backe haben möchte, wie man manchmal so hört.
Und ja, auch die Kirchen könnten davon erzählen, wenn mal wieder jemand sagt: Man glaube ja noch an Gott, aber man brauche doch keine Kirche. Beten könne man doch auch allein im Wald oder sonst wo. Dafür braucht es doch keine Kirche und keine Gemeinschaft. Bei der Taufe in der Familie möchte man dann aber schon gerne mitfeiern und findet das Ritual ja ziemlich schön. Und wenn eine Trauerfeier ansteht, wäre es schon schön, wenn das der Pfarrer aus dem Ort machen würde, den kennt man ja. Nicht irgendein Bestattungsredner von sonst woher, den man noch nie gesehen hat. Aber sonst brauchts doch keine Kirche und keine Gemeinschaft innerhalb der Kirche.
Wie gesagt, liebe Gemeinde: Eine Passionsgeschichte von vielen. Nicht immer muss Passion mit Tod und Sterben zusammenhängen. Nicht immer muss es so blutig zugehen wie bei der Passion und dem Leiden Jesu. Wir haben heute davon gehört. Die Menge will, dass er stirbt, nicht der Straßenräuber Barrabas. Nein, Jesus soll ans Kreuz. Und leiden. Der schreiende Mob behält vorerst die Oberhand in der Passionsgeschichte Jesu. Von Pilatus hören wir die Frage „Was ist Wahrheit?“ und wenig später lässt er Jesus abführen und auspeitschen. Die Menge schreit: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“
Im Lied, das wir eben gesungen haben, wird das Kreuz, das Holz des Kreuzes, aufgenommen, wenn es heißt: Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht, ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht. Kyrie Eleison, sieh, wohin wir gehen. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Holz auf den Schultern, eine Last auf den Schultern tragen – das kennen Menschen auch heute. In so vielen Bereichen und Situationen. Wie viele Passionsgeschichten gibt es dieser Tage, die nirgends erwähnt werden.
Nicht aufgeschrieben werden. Nicht an die Öffentlichkeit kommen, weil das Leiden stumm getragen wird.
Die Passionsgeschichte und die Verurteilung Jesu durch den schreienden Mob führt uns vor Augen: Das Leben ist nicht immer gut. Gerecht schon gar nicht. Lebensfragen werden nicht immer gelöst wie am Ende des Krimis der Kriminalfall. Gottes Sohn selbst erleidet große Ungerechtigkeit.
Sieh wohin wir gehen, heißt im Lied. Ein Ruf an denjenigen, der selbst sein Kreuz tragen musste. Der selbst leiden musste. Ja, der selbst sterben musste. Der Ruf an denjenigen, der von anderen verurteilt wurde. Zu Unrecht verurteilt. Der von anderen gedemütigt und geschlagen wurde.
Holz auf Jesu Schulter – wie wahr diese Worte doch sind. Und gerade er wird gebeten: Kyrie eleison, Herr erbarme dich, sieh wohin wir gehen.
Das mag jede und jeder Einzelne von uns gerade vor Gott bringen – dass Gott sehen möge, wohin wir gerade gehen. Auch woher wir gerade kommen. Wie die Gefühle in uns momentan aussehen.
Und darüber hinaus lässt sich für uns als Gesellschaft fragen:
Ja, wohin gehen wir eigentlich? Wohin wollen wir gehen? In eine Welt, in der immer mehr zuerst jeder nur für sich lebt?
Ist das die Welt, die wir wollen?
Irgendwas passt dann aber nicht zusammen, wenn es Wartezeiten von einem halben Jahr beim Psychologen gibt, weil die Wartelisten so voll sind. So ganz glücklich scheint diese zunehmende Individualisierung nicht alle zu machen.
Sieh wohin wir gehen – das ist die Bitte, der Wunsch, nicht alleine zu gehen. Schon gar nicht in den Passionszeiten unseres Lebens. Wenn wir vielleicht um einen lieben Menschen trauern oder Angst vor der Zukunft haben oder mit der Vergangenheit hadern und mehr „hätte ich doch mal“ im Kopf haben, als es uns gut tut.
Sieh wohin wir gehen – das können wir singen und hoffen, weil wir daran glauben können, dass unsere Wege gesehen werden. So wie es vor knapp drei Monaten in der Jahreslosung ausgedrückt wurde „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Nicht überwachend, angstmachend nach dem Motto: Benimm dich bloß ordentlich, Gott sieht alles. Sondern auf ganz andere Art und Weise: Vertrauen, dass Gott Freude und Leid sieht. Und dass das Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht, zum Baum des Lebens wurde. Damals, heute und in Ewigkeit.
Vertrauen darauf, dass damit auch so manches Kreuz, dass wir zu tragen haben verwandelt wird.
Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht, ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht. Kyrie Eleison, sieh, wohin wir gehen. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn. Amen.
Gottesdienste am Sonntag, 02.04.
Weipoltshausen 09:30 Uhr
Kirchvers 10:45 Uhr
Gottesdienste am Gründonnerstag, 06.04.
Kirchvers 11:00 Uhr (Gottesdienst des ev. Kindergartens Kirchvers)
Weipoltshausen 19:00 Uhr (mit Abendmahl)
Gottesdienst am Karfreitag, 07.04.
Kirchvers 10:45 Uhr (mit Abendmahl)
Gottesdienste am Ostersonntag, 09.04.
Weipoltshausen 09:30 Uhr
Kirchvers 10:45 Uhr
Gottesdienst am Ostermontag, 10.04.
Rodenhausen 10:45 Uhr
Kindergottesdienst jeden ersten und dritten Sonntag im Monat in Rodenhausen. Treff um 10:00 Uhr vorm DGH.
In Weipoltshausen jeden ersten, dritten und fünften Sonntag im Monat um 10:30 Uhr in der Kirche.
Posaunenchor dienstags um 19:30 in Weipoltshausen (DGH).
Krabbelgruppe donnerstags um 10:00 Uhr in Kirchvers (Pfarrsaal)
Bibelgesprächskreis am Dienstag, 28.03. um 19:00 Uhr in Weipoltshausen (Kirche)
Frauenkreis am Donnerstag, 30.03. um 19:30 Uhr in Kirchvers (Pfarrsaal).
Kirchencafé am Mittwoch, 11.04. um 15:00 Uhr in Weipoltshausen (DGH). Gast: Karl Krantz, Thema: Die Lahn